Streit mit dem Finanzamt: Grundsteuer und Verkehrswertgutachten: Wer trägt die Kosten?

05. Dezember 2025 -

Seit der Grundsteuerreform wird der Grundsteuerwert von Grundstücken vielfach pauschal nach dem Bodenrichtwertmodell ermittelt. Dabei wird die Grundstücksfläche mit dem Bodenrichtwert der jeweiligen Zone multipliziert. Besonderheiten des Grundstücks – etwa wenn ein Teil baurechtlich nicht bebaut werden darf – bleiben zunächst unberücksichtigt. Beispiel: Ist ein großer Teil einer Fläche als private Grünfläche ausgewiesen, könnte das Finanzamt dennoch die gesamte Fläche mit dem vollen Bodenrichtwert ansetzen. Dies kann zu einer Überbewertung führen, sodass der Grundsteuerwert und in der Folge die Grundsteuer zu hoch festgesetzt werden.

Um solchen Fällen gerecht zu werden, hat der Landesgesetzgeber von Baden-Württemberg (und teils auch andere Bundesländer) eine Öffnungsklausel geschaffen: Nach § 38 Abs. 4 LGrStG BW kann auf Antrag ein niedrigerer Grundstückswert angesetzt werden, wenn der durch ein qualifiziertes Gutachten nachgewiesene tatsächliche Wert des Bodens zum Hauptfeststellungszeitpunkt mehr als 30 % niedriger ist als der Wert nach dem Bodenrichtwertmodell. Diese Regelung soll sicherstellen, dass Grundstücke nicht dauerhaft überbesteuert werden, wenn der pauschale Bewertungsansatz im Einzelfall deutlich daneben liegt. Allerdings erfordert sie vom Steuerpflichtigen einen aktiven Nachweis: In der Praxis muss ein Verkehrswertgutachten (Wertgutachten) eines Sachverständigen – häufig durch den örtlichen Gutachterausschuss – eingeholt und bezahlt werden, um die Überbewertung zu belegen.

Der konkrete Fall: Überbewertung wegen unbebaubarer Fläche

In einem aktuellen Fall vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg war genau das passiert: Ein Eigentümer stellte fest, dass sein Grundsteuerwertbescheid viel zu hoch war. Sein Grundstück (insgesamt ca. 4.013 m²) ist zwar bebaut, aber ein großer Teil (nahezu die Hälfte) ist laut Bebauungsplan eine nicht bebaubare Grünfläche. Diese Teilfläche darf überhaupt nicht bebaut werden (Streuobstwiese mit Pflanzgeboten), während nur der restliche Teil als Bauland ausgewiesen ist. Trotzdem hatte das Finanzamt den gesamten Grund und Boden mit dem vollen Bodenrichtwert von 150 €/m² bewertet – ohne Abschlag für die unbebaubare Fläche. Dadurch ergab sich ein Grundsteuerwert von 601.900 € und darauf basierend ein Grundsteuermessbetrag (für 2025) von 547,73 €.

Der Eigentümer legte Einspruch ein und argumentierte, es dürfe nur die baubare Teilfläche (ca. 2.064 m²) mit dem Baulandwert angesetzt werden, während der Rest als Grünland viel weniger wert sei. Er untermauerte dies mit Unterlagen: einem städtebaulichen Vertrag mit der Gemeinde und dem Bebauungsplan, die genau diese Nutzungsbeschränkung ausweisen. Das Finanzamt blieb jedoch dabei, dass ohne Gutachten keine Korrektur möglich sei. Es verwies den Eigentümer auf die Möglichkeit, nach § 38 Abs. 4 LGrStG ein qualifiziertes Gutachten vorzulegen, um den geringeren Wert nachzuweisen. Auf ein solches Gutachten wollte sich der Steuerpflichtige zunächst nicht sofort einlassen – immerhin verursacht das beträchtliche Kosten –, und hoffte auf eine gerichtliche Klärung.

Nachweis eines geringeren Werts: Aufwand und Nutzen abwägen

Nach erfolglosem Einspruch erhob der Eigentümer Klage beim FG. Das Gericht machte aber deutlich, dass ohne Gutachten kaum Abweichungen vom Bodenrichtwert vorgenommen werden könnten – es würde selbst keinen Gutachter von Amts wegen beauftragen. Daraufhin ließ der Kläger durch den Gutachterausschuss ein Verkehrswertgutachten erstellen. Das Ergebnis bestätigte seine Einschätzung eindrucksvoll: Der Gutachter kam auf einen Verkehrswert von 355.000 € für den Grund und Boden. Wie kam diese erhebliche Differenz zustande? Von der Gesamtfläche wurden 2.178 m² mit 150 €/m² (Bauland) bewertet, aber 1.835 m² nur mit 15 €/m² als reine Freizeit-/Grünlandfläche. Insgesamt lag der ermittelte Bodenwert damit rund 41 % niedriger als der ursprüngliche Ansatz des Finanzamts.

Das Finanzamt erkannte daraufhin – konfrontiert mit dem qualifizierten Gutachten – den geringeren Wert als Nachweis i.S.d. § 38 Abs. 4 LGrStG an. Es änderte den Grundsteuerwertbescheid im August 2025 entsprechend ab: Neuer Grundsteuerwert 355.000 € (statt 601.900 €) und neuer Steuermessbetrag 323,05 €. Damit war die Hauptsache der Klage erledigt, denn der Eigentümer hatte in der Sache sein Ziel erreicht. Die jährliche Grundsteuer für das Grundstück sinkt nun um 606,63 € gegenüber der vorherigen Festsetzung. Über den ersten Hauptveranlagungszeitraum (2025–2029, sechs Jahre) summiert sich die Steuerersparnis auf etwa 3.640 €. Dem stehen Kosten von 1.514,28 € für das Gutachten gegenüber.

Streitpunkt: Wer trägt die Gutachtenkosten?

Nach der Erledigung der Hauptsache blieb jedoch ein Streitpunkt: Wer muss die Kosten des Verfahrens tragen, insbesondere die Gutachterkosten? Der Kläger beantragte, dem Finanzamt die gesamten Kosten aufzuerlegen – schließlich habe er nur wegen der starren Haltung der Behörde und im öffentlichen Interesse (richtige Steuerbemessung) das Gutachten einholen müssen. Das Finanzamt hingegen argumentierte, der Eigentümer hätte das Gutachten von Anfang an im Einspruch beibringen können; weil er dies verzögert habe, solle er auch die Kosten tragen. Rechtsgrundlage für solche Kostenentscheidungen ist § 138 der Finanzgerichtsordnung (FGO): Danach entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen über die Kosten, wenn ein Verfahren – wie hier – durch Erledigung endet. Zudem sieht § 137 FGO vor, dass einem Beteiligten ausnahmsweise Kosten auferlegt werden können, selbst wenn er obsiegt hat, wenn er Tatsachen erst spät vorgetragen hat, die er früher hätte vorbringen sollen. Vereinfacht gesagt: Trägt der Steuerpflichtige das Kostenrisiko, weil er das Gutachten erst im Klageverfahren vorgelegt hat?

Entscheidung des FG: Finanzamt muss die Kosten übernehmen

Der 8. Senat des FG Baden-Württemberg entschied per Beschluss vom 16.10.2025 (Az. 8 K 626/24) zugunsten des Grundstückseigentümers. Das Finanzamt muss die Kosten des Verfahrens tragen – einschließlich der Sachverständigenkosten für das Gutachten. Zwar war der ursprüngliche Bescheid formal zunächst rechtmäßig, da er den Bodenrichtwertvorgaben entsprach. Doch im Laufe des Verfahrens wurde offenkundig, dass dieser Wert deutlich über dem tatsächlichen Verkehrswert lag. Die gerichtliche Kostenentscheidung stützte sich maßgeblich auf eine Ermessensabwägung (§ 138 Abs. 1 FGO). Das Gericht betonte dabei folgende Punkte:

  • Die Bewertung des Finanzamts führte wegen der eingeschränkten Bebaubarkeit des Grundstücks zu einer erheblichen Überbewertung, um fast 250.000 € zu hoch. Diese Fehlbewertung war aufgrund des Bebauungsplans für das Finanzamt erkennbar, also „offenkundig“, auch ohne Gutachten. Mit anderen Worten: Es handelte sich nicht um einen exotischen Sonderfall, sondern um eine klar belegbare Tatsache (große Teilfläche unbaubar).
  • Durch das Gutachten ergab sich eine jährliche Steuerentlastung von ca. 606 €, über sechs Jahre also rund 3.640 € weniger Grundsteuer. Demgegenüber standen 1.514 € Gutachtenkosten. Die Ersparnis überstieg die Gutachtenkosten also um mehr als das Doppelte. Dieses Verhältnis spielte in der Ermessensabwägung eine Rolle: Der Kläger hat nicht „unverhältnismäßig“ hohen Aufwand betrieben, sondern einen wirtschaftlich sinnvollen Schritt zur Korrektur einer Überbewertung unternommen.
  • Würde man dem Steuerpflichtigen stets und automatisch die Kosten eines solchen Gutachtens auferlegen, liefe man Gefahr, Bürger von der Wahrnehmung ihrer Rechte abzuschrecken. Kein Eigentümer wird ein teures Gutachten einholen, wenn er am Ende trotz obsiegens auf den Kosten sitzen bleibt. Dies widerspräche dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG), so das FG. Die Nachweispflicht des § 38 Abs. 4 LGrStG dürfe nicht in jedem Fall zu einer persönlichen „Kostenfalle“ werden.
  • Fazit des Gerichts: Auch wenn der Kläger das Gutachten theoretisch schon im Einspruchsverfahren hätte vorlegen können, war es im konkreten Fall billig und gerecht, die gesamten Verfahrenskosten dem Finanzamt aufzuerlegen. Entscheidend war hier, dass (a) die Steuerersparnis deutlich höher ist als die Gutachtergebühr, (b) das Grundstück ohne Gutachten krass überbewertet geblieben wäre, und (c) die Gründe für den geringeren Wert (eingeschränkte Bebaubarkeit) von Anfang an bekannt und belegbar waren.

Interessant am Rande: Das FG merkte an, dass in anderen Gemeinden/Gutachterausschüssen teils vereinfachte, kostengünstigere Gutachten angeboten werden oder differenziertere Bodenrichtwerte festgelegt sind. Solche Maßnahmen führen zu genaueren Bewertungsergebnissen und machen separate Verkehrswertgutachten oft entbehrlich. Im Klartext richtet sich dieser Hinweis wohl an die Verantwortlichen: Je besser die Bodenrichtwertzonen und Bewertungsmodelle die Realität abbilden, desto seltener müssen Steuerpflichtige zu aufwändigen (und teuren) Nachweisverfahren greifen.

Praxistipp für Grundstückseigentümer

Grundstückseigentümer sollten aus dieser Entscheidung einige praktische Lehren ziehen:

  • Augen auf bei Grundsteuerwert-Bescheiden: Prüfen Sie Ihren Bescheid genau. Wurden besondere Umstände Ihres Grundstücks berücksichtigt? Insbesondere bei teilweise unbebaubaren Flächen, Denkmalschutzauflagen, Altlasten o. ä. kann der pauschale Bodenrichtwertansatz zu hoch sein.
  • Nachweismöglichkeit nutzen: Wenn Sie eine deutliche Überbewertung vermuten (Faustregel: Marktwert über 30 % unter dem Ansatz), scheuen Sie sich nicht, Einspruch einzulegen. Verweisen Sie auf die konkreten Einschränkungen (z.B. Bebauungsplan, Gutachtenausschuss-Zonen) und bieten Sie den Nachweis eines geringeren Werts an. Das Finanzamt wird in der Regel auf einem qualifizierten Gutachten bestehen – dieser Weg ist in § 38 Abs. 4 LGrStG ausdrücklich vorgesehen.
  • Kosten/Nutzen abwägen: Ein Verkehrswertgutachten verursacht Kosten (im Fall oben ~1.500 €). Stellen Sie dem die mögliche Steuerersparnis gegenüber. Bei einer Überbewertung um 200.000 € wie im Beispiel können über die Hauptfeststellungsperiode mehrere tausend Euro Grundsteuer gespart werden. Oft lohnt es sich langfristig finanziell, das Gutachten einzuholen – zumal es den Grundstückswert korrekt feststellt, was auch bei Verkauf oder Erbschaft nützlich sein kann.
  • Keine Angst vor dem Kostenrisiko: Dieser neue Beschluss des FG Baden-Württemberg zeigt, dass Gerichte die Rechte der Steuerpflichtigen stärken. Wenn die Überbewertung offensichtlich und die Korrektur nur über ein Gutachten erreichbar ist, wird man Sie nicht allein auf den Kosten sitzen lassen. Das Finanzamt muss dann die Verfahrenskosten tragen, zumindest in vergleichbar gelagerten Fällen, in denen die Kriterien wie oben erfüllt sind (deutliche Wertabweichung, Nachweis erbracht, Ursache der Abweichung klar erkennbar). Natürlich kann jeder Fall anders liegen, aber das Risiko, trotz Erfolg vor Gericht noch die Gutachterkosten zahlen zu müssen, ist durch diese Rechtsprechung spürbar gesunken.
  • Lokale Möglichkeiten erkunden: Fragen Sie bei Ihrem Gutachterausschuss oder der Gemeinde nach, ob es vereinfachte Bodenwertgutachten gibt. Manche Gutachterausschüsse erstellen Bodenwert-Bescheinigungen oder Kurz-Gutachten, die günstiger oder sogar kostenlos sind. Gegebenenfalls werden in Ihrer Region Bodenrichtwertzonen bereits so differenziert ausgewiesen, dass ein Antrag nach § 38 Abs. 4 LGrStG gar nicht nötig ist. Informieren Sie sich über die Praxis vor Ort.

Der Beschluss des FG Baden-Württemberg vom 16.10.2025 (8 K 626/24) ist eine gute Nachricht für Grundstückseigentümer. Er zeigt: Es lohnt sich, gegen überhöhte Grundsteuerwerte vorzugehen, wenn handfeste Gründe für eine Überbewertung vorliegen. Die gesetzlichen Hürden für eine Korrektur (Gutachtenpflicht, >30 % Abweichung) sind zwar hoch, doch sorgen die Gerichte dafür, dass Bürger hierbei effektiven Rechtsschutz genießen. Im Klartext: Wer im Recht ist und eine drastische Fehlbewertung seines Grundstücks belegt, muss nicht befürchten, am Ende auf den Gutachterkosten sitzen zu bleiben. Das Finanzamt wird in solchen Fällen zur Kasse gebeten – gerecht und abschreckend genug, damit künftig sorgfältiger bewertet wird. Grundstückseigentümer sollten ihre Bescheide daher kritisch prüfen und im Zweifel den Nachweis eines geringeren Wertes nicht scheuen. Denn niemand sollte zu viel Grundsteuer bezahlen, nur weil der korrekte Wert erst durch ein teures Gutachten ans Licht kommt.